Der Schuhputzer
Ein Einkaufszentrum nennen die Amerikaner Mall. Sie sind manchmal so groß, dass man sich darin verlieren kann.
Irgendwo in Arkansas hatte ich mich in einem solchen Mall verirrt und konnte das Geschäft nicht mehr finden, vor dem meine Frau mich wieder treffen wollte. Kummer machte mir das keinen, denn ich hatte noch reichlich Zeit.
Schräg gegenüber hatte ein schwarzer Schuhputzer seinen kleinen Stand aufgebaut. Ich fixierte ihn. Ein schmales Gesicht. Das Haar schon leicht grau. Feingliedrige Hände. Abgetragene, aber saubere Kleidung. Dieser Herr hier muss bessere Zeiten gesehen haben, ging es mir durch den Kopf.
Der Mann hatte ein dickes, abgegriffen aussehendes Buch vor sich auf dem Schoß und las. Beim Umblättern blickte er jedes Mal kurz auf, schob die viel zu große Brille weiter nach oben, um sich wieder in sein Buch zu vertiefen. Sicher ein spannender Krimi, folgerte ich. An Kundschaft schien er nicht sehr interessiert zu sein. Warum also nicht ihn nach dem Weg fragen? Mit diesem Gedanken ging ich auf ihn zu.
Die Brillengläser waren viel dicker, als ich es aus der Ferne hatte ausmachen können. So erkannte er mich erst, als ich fast schon vor ihm stand. Freudig griff er zu Lappen und Bürste. Mit einem verlegenen Lächeln wehrte ich ab, denn ich hatte Sandalen an den Füßen.
Ich liebe meine Birkenstock. Auf die Idee, man könne sie putzen, war ich noch nie gekommen. Ganz offensichtlich war er aber anderer Meinung. Höflich aber bestimmt lud er mich ein, Platz zu nehmen. Auch hatte ich in diesem Moment vergessen, weshalb ich eigentlich gekommen war.
Bevor ich es richtig realisiert hatte, fand ich mich in einer Position wieder, die mir immer nur verachtenswert erschienen war. Ein weißer Mann auf einer Art Podest thronend und ein schwarzer Mann in beflissener Haltung vor ihm.
Was der ganzen Situation die Würze gab, war mein Schuhwerk. Birkenstock-Sandalen putzen zu wollen, fand ich schlicht lustig. Obwohl meine Socken nicht mehr sehr weiß waren, hatte ich die Sandalen ausgezogen und ihm überreicht. Mit großer Ernsthaftigkeit machte er sich ans Werk. Während der verschiedenen Arbeitsgänge kamen wir ins Gespräch.
Mutter aus Haiti. Vater aus Kenia. Tagsüber Schuhputzer. Abends Musiker. Sein Englisch war gewählt und sehr gut zu verstehen, auch wenn der typische Singsang des Südstaatlers nicht zu überhören war. Gerne hätte ich noch weiter gefragt. Aber an Sandalen gibt es nun wirklich nicht viel zu putzen, erst recht nicht für einen Profi. Auch fiel mir ziemlich plötzlich wieder ein, dass ich eine Verabredung hatte.
Klar wusste er den Weg. Der war weiter als ich gedacht hatte. Zeit mich schnellstens zu verabschieden. Beim Bezahlen fiel mir das Buch wieder ein. "Ein Krimi?" "Nein, nein, kein Krimi." Bei diesen Worten griff er nach dem Buch und reichte es mir. Es war in Französischer Sprache verfasst. Der Titel lautete "René Descartes, Principia philosophiae".
Ich war sprachlos vor Staunen. Mehr als ein Lächeln brachte ich zum Abschied nicht zustande. Kopfschüttelnd machte ich mich auf den Weg.
Jorge D.R.
Das war's, liebe Leut. Der letzte Augenblick aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist vorüber. Ich reise weiter. Und vielleicht gibt's ja eine neue Geschichte. Irgendwann.
Wie sagt man da. Denke nie gedacht zu haben, lieber Jorge D.R.!! ;-)
AntwortenLöschen..grüßt dich Monika (...gespannt von wo aus du dich das nächste Mal meldest!)
... das ist ein lebendes Klischee ...
AntwortenLöschenmitreisend grüßt
Monika
Echt beneidenswert, deine Gabe, auf Menschen zuzugehen und dich für sie auch wirklich zu interessieren.
AntwortenLöschenDaraus resultieren dann solch wunderbare Geschichten!
Liebe Grüsse mit auf den Weiterweg,
Brigitte
Schön, wieder ein lebendiges Zeichen von dir zu lesen.
AntwortenLöschenLiebe Grüße zu euch,
Anna-Lena
Ich lese immer wieder gern eure ERlebnisse und bin in Gedanken dabei.
AntwortenLöschenGerti
so eine schöne Geschichte!
AntwortenLöschenlieben Gruß,
Tabea